Retraumatisierung
Inhalt:
Was versteht man unter Retraumatisierung?
Man spricht von einer Retraumatisierung, wenn im alltäglichen Leben eine traumatische Situation reaktiviert wird. Aber auch innerhalb einer Therapie, ist die Gefahr einer Retraumatisierung hoch. Wie weiter oben beschrieben, ist eine Bewußtmachung traumatischer Erfahrungen für eine Therapie unerlässlich. Wenn es nun innerhalb der Therapie nicht gut gelingt, echte Gefühle zu aktivieren, sondern der Klient im damaligen Gefühlszustand hängen bleibt, ist eine Retraumatisierung wahrscheinlich.
Diese Gefahr ist sehr groß, wir kennen das alle: Wir hören ein bestimmtes Lied, sehen einen Film oder befinden uns an einem bestimmten Ort. Schon befinden wir uns wieder genau in dem emotionalen Zustand, der zu der Zeit präsent war (wenn diese Situation besonders belastend, freudig, traurig oder traumatisch war).
Wenn wir nun also eine traumatische Situation erinnern, wird automatisch auch der damalige emotionale Zustand reaktiviert. Das ist in einer traumatischen Situation (und das macht ein Trauma aus) nicht etwa ein echtes Gefühl wie Wut, Trauer oder Angst sondern eine Abwehr: Wir haben dissoziiert (wir haben uns der Situation, der wir uns real nicht entziehen konnten, durch abschalten unserer Wahrnehmung entzogen), haben uns täteridentifiziert (wenn mein Vater so etwas mit mir macht, wird es schon seine Berechtigung haben, denn er muss mich ja lieben) oder sind in die Depression gegangen (keiner versteht mich, ich kann keinem vertrauen, ich habe keinen Wert).
Das alles sind keine echten Gefühle, sondern Abwehr die uns vor schlimmerem bewahrt hat. Denn wer konnte schon in einer traumatischen Situation echte Gefühle Zeigen? Einem prügelndem Vater gegenüber Wut zu zeigen, hätte die Situation verständlicher Weise verschlimmert und Angst vielleicht seinen Sadismus herausgefordert.
Ich habe einmal mit Focusing eine Situation zurück erinnert, in der ich als Kind morgens im Dunkeln, es war kalt und ich fühlte mich unendlich einsam und verlassen, zur Schule ging. Ich hatte Angst, wieder einmal gemobbt und verprügelt zu werden. Mein emotionaler Zustand war ein zutiefst depressiver, in dem ich mich in mich zurückgezogen hatte, ich habe mich wertlos, ohnmächtig, unverstanden und ungeliebt gefühlt.
Genau dieser emotionale Zustand wurde auch prompt reaktiviert, ich habe mich noch Tage danach schlecht gefühlt, obwohl ich doch meinte, alles richtig gemacht zu haben. Was ich falsch gemacht hatte, wurde mir erst später klar: Ich konnte keine echten Gefühle aktivieren! Da war keine Wut, keine Trauer oder echte Angst, die es gebraucht hätte, um das Erlebte nach zu verarbeiten.
Echte Gefühle kann man gut daran erkennen, das sie vielleicht eine halbe Stunde anhalten. Danach stellt sich ein tiefes Gefühl der Erleichterung und Entspannung ein. Wenn das nicht der Fall ist, bin ich in die alte Abwehrreaktion gerutscht, die retraumatisierend ist.
Retraumatisierung in der Therapie
Ich habe schon häufig gehört, das viele Therapeuten Angst davor haben, ihre Klienten zu retraumatisieren. Eine Klientin, die eigentlich eine Traumatherapie begonnen hatte, hat jahrelang nur Gesprächstherapie geboten bekommen. Das Argument ihrer Therapeutin war: „Sie sind noch nicht weit genug, um tiefer zu gehen.“ Ohne anmaßend sein zu wollen, für mich eine Schutzbehauptung, da die Therapeutin Angst davor hatte, mit einer entsprechend belastenden Situation nicht adäquat umgehen zu können.
Ich gab ihr den Rat, sich eine andere Therapeutin zu suchen, was mit der Antwort quittiert wurde, das die Therapeutin schon wüßte, wie es um sie steht. Hier ist dann die Angst der Klientin sichtbar, die die Unsicherheit der Therapeutin spiegelt.
Wobei es in jeder Therapie den „theapeutischen Widerstand“ des Klienten zu überwinden gilt, der Angst davor hat, sich seinem Trauma zu stellen. Das ist ein ganz normaler Vorgang, den jeder Klient durchleben muß. Wenn sich der Therapeut nicht dazu in der Lage sieht, diese Widerstände bei seinem Klienten auszuhalten und zu durchbrechen, hat er seinen Beruf verfehlt.
Hier kann ich jedem, der sich mit dem Gedanken trägt, eine Therapie zu machen, das Buch von HANS-JOACHIM MAAZ empfehlen, „Hilfe, Psychotherapie“. Es bietet eine gute Möglichkeit, einschätzen zu können, wie eine Therapie ablaufen sollte, was dich erwartet und ob ein Therapeut kompetent ist oder nicht.
Schmerzfreie Therapie?
Mittlerweile gibt es einige Therapieformen, die Heilung versprechen, ohne das Trauma direkt anzusprechen, also ohne die Gefahr einer Retraumatisierung. Ich fühle mich nicht kompetent genug und habe auch nicht die Erfahrung um zu beurteilen, ob das funktioniert. Für mich hört es sich aber so an, als ob der Zahnarzt nur die Angst des Patienten vor der Behandlung befriedigt, in dem er ihn in der Illusion belässt, das der Zahn nicht gezogen werden muß.
Die Gefahr einer Retraumatisierung ist immer real und nicht zu vermeiden, auch in der besten Therapie.
Vielen Dank für diesen Artikel. Ich finde es hilfreich informativ. Ich selber habe Angst vor einer Retraumatisierung und die Arbeit steht mir bevor, auch wenn es kaum Material dazu gibt. Es ist sehr wichtig einen Weg zu finden, um Traumaarbeit machen zu können, ohne an das Trauma selbst zu gelangen. Bei Frühkindlichen Traumen gibt es in der Regel keine bis kaum Erinnerungen, was nicht bedeutet, dass es kein Trauma gab. Bei mir gibt es nur Gefühlsfetzen und vor allem meine heutigen Abwehrmechanismen. Ich habe viel Glück gehabt, dass ich überhaupt drauf gekommen bin, dass es noch glaubwürdigen Zeugen gibt. Ich arbeite mit TRE, um die körperliche Spannung des Trauma langsam zu lösen ud das Gehirn zu reaktivieren. Dazu mache ich noch eine Therapie. Es sind gerade 10 Wochen als alles hoch kam. Seitdem ist es ein ständiges Ringen. Tag für Tag.
Viele Grüße Marie Knödler
Bei einer therapeutischen Retraumatisierung muss man sich nicht nur den Auswirkungen sondern auch den therapeutischen Kompetenzen sehr bewusst sein.
Meine damalige Therapeutin (Paar- und Pschodramathrrapeutin, Marianne Frieden, Bern) hat mich sehr bewusst und gezielt in diese frühkindliche Traumatisierung geführt. 2-3 Wochen nach dem absolut totalen Zusammenbruch hat sie mir offenbart, dass sie nicht die Kapazität (oder Kompetenz?) habe, mich weiter zu betreuen.
Ich stand während Monaten ohne Therapeuten da und stürzte immer weiter.
Jetzt nach vier Jahren nach der Retraumatisierung bin ich in einer Traumatherapie.
Vier Jahre andauerndes, tägliches stechen im Brustbereich, welches ich nur mit Temesta einigermassen im Griff halten konnte.
PTBS, Traumatisierung und Retraumatisierung über 3 Jahre!!!, Angststörung und dauernde Panickattacken, schwere Depression, massive Ichstörung, Herinfarkt wegen jahrelanger Todesangst, und, und, und.
Für mich ist das rückblickend nur Ärztepfusch mit massiver Auswirkung für mich und mein Umfeld.
Bedenke, was du tust, aber dann sei auch brreit dies aufzufangen!